Der Beginn
Nach dem 2. Weltkrieg wird die Weltordnung neu definiert. Durch Deutschland geht von Nord nach Süd ein Riss und teilt unser Land in West und Ost, in BRD und DDR.
Hüben wie drüben beginnt der Aufbau und Aufbruch; beide Teile Deutschlands versuchen sich mit konträren Philosophien an der Gestaltung einer besseren Zukunft. Noch in den ersten Wirren der Nachkriegszeit sorgt Bad Nauheims amerikanischer Stadtkommandant, Colonel Paul R. Knight, für den Bau einer Kunsteisbahn. In nur 100 Tagen wird gegen den Willen der Nauheimer Bevölkerung im Kurpark vom 10. Oktober bis Heiligabend 1946 aus dem Nichts ein Eisstadion am großen Teich im Kurpark erbaut.
Nach dessen Fertigstellung lockt die neue Bahn versprengte Eishockeyspieler des ostpreußischen Teams aus Rastenburg in die Wetterau, wo sich mit Hans Unger bereits ein ehemaliger Spieler niedergelassen hatte. Genau diese sind es, die die entscheidende Geburtshilfe für das Nauheimer Eishockeys leisten. In roten Football-Trikots aus dem Bestand der amerikanischen Besatzer werden die "Roten Teufel" des VfL Bad Nauheim. Der Virus Eishockey hat die Wetterau unwiderruflich infiziert.
Nauheimer Jungs
In Deutschland geht es aufwärts. Manche können sich bereits einen Urlaub am Gardasee leisten oder fahren mit dem eigenen Auto noch weiter in den Süden. Im Winter aber treibt es die Wetterauer in Scharen ins „Hundert-Tage-Stadion“, wo inzwischen auch einheimische Jungs dem Puck nachjagen.
Der VfL Bad Nauheim mischt recht erfolgreich in der ersten Liga, der Oberliga, mit. So erhält Bad Nauheim auch den Zuschlag für ein Länderspiel. Obwohl in der Nacht zuvor ein großer Brand das Stadiongebäude zerstört, findet das Spiel gegen die Schweiz statt.
National spielt sich das große Eishockey jedoch größtenteils in Bayern ab. EV Füssen, SC Riessersee, EC Bad Tölz, das sind die Hochburgen des West-Deutschen Eishockeys. Sie sind auch die ersten Teilnehmer als 1958 die Liga einen neuen Namen bekommt: Bundesliga. Bad Nauheim bleibt in der Oberliga, der nun 2. Liga, hat aber attraktive Gegner wie Köln, Berlin, Dortmund, Kaufbeuren oder Landshut. Trotz der namhaften Konkurrenz holt der VfL sofort die Oberliga-Meisterschaft und steigt in die Bundesliga auf. Bad Nauheim hat in den 50ern einen richtig guten Namen im bundesdeutschen Eishockey und so spielen die Roten Teufel dort, wo sie hingehören: der 1. Liga.
Auf und Ab
Im rasanten Tempo bringt das deutsche Wirtschaftswunder die Nation voran. Gastarbeiter kommen ins Land, von England her verbreiten „Pilzköpfe“ eine neue Musik, den Beat. Bei den einen sorgt die Sexwelle mit Antibabypille, Minirock und Oswalt Kolle für Aufregung, bei den anderen die 68er-Bewegung mit Rudi Dutschke und der "Außerparlamentarische Opposition" APO. Im letzten Jahr der 60er gelingt den Amerikanern Gigantisches: Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond.
In Bad Nauheim ist es die Zeit der Konsolidierung. Die Roten Teufel sind zu stark für die Oberliga, aber auch noch nicht beständig genug, um sich in der Bundesliga zu etablieren. So gibt es einige Jahre des Auf und Abs.
Doch dann gelingt den Kurstädtern der große Wurf: Mit der späteren Galionsfigur Rainer Philipp und Torwartlegende Rainer Makatsch spielt Bad Nauheim ab der Saison 1967/68 immer in der ersten Klasse. Anlässlich des Aufstiegs wird mit den Paperback "Vau EFF ELL - Eishockey in Bad Nauheim" ein erstes Druckwerk über das Nauheimer Eishockey veröffentlicht.
Golden Times
Jetzt geht es rund - und zwar im Fußball! Erstmals gibt es in Deutschland eine Fußball-WM und WIR gewinnen gegen Holland 2:1! Was für ein Triumph! Politisch setzt leichtes Tauwetter an der Front des „Kalten Krieges“ ein, aber dennoch ist für den Durchschnittsbundesbürger Dresden, Leipzig oder Magdeburg weiter entfernt als Rom, Paris oder London. Die Haare der Männer werden immer länger, die Musik immer härter. Aber es gibt auch „Softies“ wie die schwedische Gruppe ABBA.
Grün ist nicht mehr nur eine Farbe sondern auch ein Politikum. Aber wen kümmern schon die Grünen, wenn es auch die Rot-Weißen gibt?
Und genau die erleben ihre stärkste Zeit in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Der VfL Bad Nauheim klopft sogar an das Tor zur deutschen Meisterschaft. Aber zu zaghaft, so reicht es im Frühjahr 1974 leider „nur“ zu Platz 3. Von da an kommt Sand ins Getriebe. Bis zum Ende der Dekade knirscht es ganz gehörig im Räderwerk des kurstädtischen Eishockeys. Das liebe Geld regiert zunehmend mehr auch die Sportwelt. Bayern hat seine Vormachtstellung bereits an die Großstädte verloren, dort sitzen die finanzkräftigen Sponsoren. Wo wird das alles enden?
Neustart
Crash!!! – Das war eine verdammt harte Bauchlandung, die der VfL im Frühjahr 1982 hinlegte. Abstieg aus der Bundesliga und Aus für das kurstädtische Eishockey! Während man anderenorts zu Disco-Klängen Aerobic-Hopser macht oder an Rubick’s Cube herumtüftelt, lecken sich die VfL-Fans in der Badstadt ihre Wunden.
Aber der Schmerz währt nicht lange, denn sofort geht es weiter mit einem anderen Club: dem EC Bad Nauheim. Tief unten, ganz tief unten muss ein Neustart inszeniert werden. Doch der gelingt grandios! Jedes Jahr eine Klasse höher und so ist man in drei Jahren wieder in der 2. Liga. Ja sogar der Aufstieg in die Bundesliga wird zum Ende der Dekade wieder ein realistisches Thema. Aber so wie dem VfL erging es leider auch dem EC: Er scheiterte letztlich an den Finanzen.
1989 muss nicht nur die abgehalfterte DDR Konkurs anmelden, sondern auch der EC Bad Nauheim. Doch im Gegensatz zum sozialistischen Teil Deutschlands, kann der EC weitermachen und bricht bald wieder in eine viel versprechende Zukunft auf.
Vize-Meister
Die Jahrtausendwende naht und Hollywood landet einen echten Filmklassiker. Mit Pretty Woman kommt ein Streifen in die Kinos, der vor allem die Damenwelt noch Jahrzehnte später entzückt. Amerikas Präsident ist auch entzückt! Seine „Pretty Woman“ heißt Monika Lewinsky, ist zwar noch Praktikantin hat aber schon sehr viel Ahnung von Tuten und Blasen…
Deutschland ist wiedervereint und war seit der Geburtsstunde des Nauheimer Eishockeys nie größer als jetzt. Ein größeres Deutschland bedingt Änderungen, zum Beispiel bei den Postleitzahlen. Sie wachsen um eine Stelle und Werbefigur „Rolf“ bringt sie uns näher.
Aber auch im Eishockey gibt es eine Neuerung: Die Ära Bundesliga geht zu Ende und eine „geschlossene Gesellschaft“ namens DEL tritt an ihre Stelle. Künftig soll es keinen Auf- und Abstieg mehr aus dieser Eliteklasse geben, einzig Wirtschaftlichkeit und Finanzkraft eines „Eishockey-Unternehmens“ bestimmen, ob oder ob man nicht zu dieser elitären Klasse gehören darf.
Für Bad Nauheim nicht wirklich ein Thema. Doch nachdem man sich von dem eigenen Konkurs, auch dank der Wohltaten des Hochstaplers Norbert Metzler, gut erholt hat, ist man sehr kurz davor für einen Bankrotteur das Abenteuer DEL zu wagen. Doch der "Blaue Brief" kommt kurz vor Rundenbeginn und verhindert den Einstieg in die DEL. Dennoch schwingt sich der EC bis zum Ende des Jahrzehnts sportlich zur ungeahnten Höhen auf. Erst im Penaltyschießen des letzten Finalspiels um die deutsche Zweitliga-Meisterschaft unterliegen die Roten Teufel mit 1:0 dem Rivalen aus Essen.
Restart 2.0
Die Türme brennen! Vollbesetzte Passagierflugzeuge als fliegende Bomben des Terrors. Als das World Trade Center in New York einstürzt, bricht mehr als nur ein Gebäude zusammen. Die gesamte westliche Welt steht unter Schock. Al Kaida und Osama Bin Laden werden zum Synonym für Angst und Terror.
Doch die Welt erlebt auch schöne Augenblicke. Die Fußball-WM 2006 in Deutschland bringt uns ein Sommermärchen, ohne dass der Titel gewonnen wird. Dafür hat Deutschland mit einem mal wieder seine Nationalflagge entdeckt. Seit jenen Tagen weht Schwarz-Rot-Gold wieder an vielen Balkonen, Autos und über Schrebergärten.
Der EC hat nach dem Hoch der Saison 1998/99 schwierige Jahre zu überstehen, will aber dennoch vehement die Aufnahme in die DEL. Gönner und Mäzen Hans Bernd Koal versucht mit großem finanziellen Aufwand das Unmögliche möglich zu machen – und scheitert. Mitte der 2000er Jahre muss der EC erneut ganz unten anfangen, in der Regionalliga. An einem weiteren Tiefpunkt erscheint das 2. Eishockey-Buch „Höllenspaß und Höllenqual“; von Fans für Fans geschrieben soll es zur finanziellen Unterstützung des gebeutelten Nauheimer Eishockeys dienen. Wir haben Erfolg damit und können 1000 Bücher absetzen. "Höllenspaß und Höllenqual" stellt dem Club über 25.000€ zur Verfügung. Es dauert eine Weile, doch zum Ende der Dekade steht der EC wieder auf dem Sprung in die 2. Liga.
DEL2 - mit uns
Der Klimawandel zeigt auch hierzulande Auswirkungen. Heiße Sommer, lange Dürreperioden und Wetterkapriolen prägen das Jahrzehnt. Nach dem „arabischen Frühling“ überziehen Willkür und Kriege den Nahen Osten bis hin nach Afghanistan. Millionen Hilfesuchender drängen nach Europa und lösen hier eine hässliche Welle von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gesinnung aus. Europa und der Westen haben schwer daran zu tragen, zumal 2017 ein unbelehrbarer Egozentriker zum US-Präsidenten gewählt wird. Er gießt noch Öl ins Feuer. Überspitze nationale Interessen, verdrängen zunehmend globales Gemeinwohl und spalten ganze Gesellschaften.
Im Fußball ist Deutschland aber vereint; erst durch den WM-Titel 2014 in Brasilien, dann 2018 angesichts des Schocks vom erstmaligen Ausscheiden nach der Gruppenphase. Grenzenlos hingegen der Jubel in Eishockey-Deutschland: In Südkorea holt man olympisches Silber; fast wäre es sogar Gold geworden. Wenige Sekunden nur hatten gegen Russland gefehlt. Das gab‘s noch nie!
Doch der EC Bad Nauheim feierte schon fünf Jahre zuvor. Am 21. April 2013 steigt die Kurstadt - unerwartet, aber hochverdient - wieder in die 2. Liga auf. Frank Carnevale löst sein vor 15 Jahren gegebenes Versprechen einer Meisterschaft ein – und keiner der beiden hessischen Erz-Rivalen kann es verhindern. Bad Nauheim wird Gründungsmitglied der neuformierten DEL2, während Kassel und Frankfurt erst ein Jahr später nachrücken dürfen.
Zum Ende des Jahrzehnts fällt der vermeintlich für die Ewigkeit aufgestellte Zuschauerrekord vom 29. Feb. 1948 gegen den SC Riessersee. Im Winter-Derby sehen am 14. Dez. 2019 15.146 Zuschauer ein „Heimspiel“ der Roten Teufel im umgebauten Fußball-Stadion der Offenbacher Kickers. Dieser Rekord wird aller Wahrscheinlichkeit noch mehr Jahrzehnte überdauern als der alte…
Chaos Jubiläum
Das neue Jahrzehnt beginnt mit einem schrillen Alarm: Ein Virus namens COVID19 stürzt die ganze Welt in eine beklemmende Krise. Eine wahrlich historische Pandemie, denn erstmals in der Geschichte der Menschheit legt ein Virus das Leben global lahm. Es beginnt in Wuhan/China und in drei Monaten hat es den gesamten Globus fest im Griff. In einem halben Jahr sterben mehr als 1 Million Menschen daran und es ist kein Ende abzusehen – die „Pest“ unsere Zeit…
Eishockey wird fast nebensächlich und in Deutschland wird der Spielbetrieb bereits im Frühjahr in allen Ligen abgebrochen. Es gibt keine Meister, keine Aufsteiger und keine Absteiger. Corona überrollt alles!
Und dennoch rüstet sich Bad Nauheim im Herbst 2020 für ein Jubiläum der besonderen Art. Das Nauheimer Eishockey geht in seine 75. Saison. Das Jubiläumsbuch "Rot-Weiße Leidenschaft" erscheint zu Weihnachten 2020. Es ist das größte, ja großartigste Werk, das je über das Bad Nauheimer Eishockey verfasst wurde. Der Glanz der Jubiläussaison aber verblasst rassant. Erst sorgt Corona dafür, dass man ein ganze Saison vor leeren Rängen spielen muss, dann fallen die Roten Teufel in ein unerklärliches Tief und landen zwischenzeitlich gar auf dem letzten Tabellenrang. Zum Glück gibt es pandemiebedingt wieder keinen Absteiger.