Aus der Geschichte des Nauheimer Eisstadions - Wilhelm Findling erinnert sich im "Bad Nauheim Journal (Sep. 1999)" an seine Tätigkeit im Eisstadion 1949 - 1968
»Ein einziges Provisorium«
Vor der Eröffnung der Eislaufsaison 1949/50 hatte die amerikanische Besatzungsmacht offiziell die Schlüssel zum Eisstadion an die badestädtische Kurverwaltung übergeben. Fast auf den Tag genau 50 Jahre später, am 25. September 1999, wird in einem feierlichen Akt und unter Mitwirkung der US-Bigband das Eisstadion nach seinem Erbauer in Colonel-Knight-Stadion benannt werden. Aus diesem Anlaß veröffentlichen wir Erinnerungen des Bad Nauheimers Wilhelm Findling, der sich - damals noch ein junger Bursche - bereit erklärt hatte, die elektrotechnische Anlage im Eisstadion zu betreuen.
Mit mir zusammen wurden noch etwa fünf oder sechs Leute ins Eisstadion abkommandiert, um die Eisfläche und das Stadiongelände zu betreuen und zu unterhalte. Das Maschinenhaus war zu dieser Zeit mit drei Maschinisten (Willi Zeisler, Willi Noll, Fritz Wetter) besetzt, die alle von Beruf Schlosser und für die Kälteanlage zuständig waren. Die zwei Erstgenannten wurden später vom Staatsbad übernommen. Die Leitung lag zunächst noch in den Händen der amerikanischen Besatzungsmacht und unterstand in dieser Saison der Abteilung »Special Service«, die als Technische Werkstatt in unserem zu dieser Zeit noch beschlagnahmten Kurhaus untergebracht war. Ich mußte jede Glühlampe und jedes andere benötigte Ersatzteil im Kurhaus bei dieser Abteilung holen und hatte ständig darauf zu achten, daß der öffentliche Lauf und alle Veranstaltungen reibungslos und störungsfrei abliefen. Chef dieser Special Service Abteilung war ein Deutscher namens Ross, unser beider höchster Vorgesetzter war Captain Stimson, der auch oft ins Eisstadion kam. Außen hui - aber innen... Die Eisfläche mit den Tribünen wirkte bei der Übernahme der Anlage 1949 recht ordentlich und für die damalige Zeit auch vorzeigewürdig. Wenn man aber das Stadiongebäude und die Innenräume betrat sah man doch, daß das ganze Bauprojekt ein einziges Provisorium war. Es fing damit an, daß die Räume alle nicht verputzt waren, also überall die rohen Backsteine frei lagen, gefolgt von der Tatsache, daß es keine Heizungsanlage gab. In einzelnen Räumen (aber nicht in jedem Raum) standen amerikanische Elektroanlagen für die Armeeöfen, die man mit Holz oder Kohle beteuern konnte, sofern diese Materialien vorrätig waren, was nur selten der Fall war. Für Räume wie Kasse, Garderobe oder Technikraum, in dem ich untergebracht war, herrschte ständig Mangel an Heizmaterial, das wir in allen Ecken zusammensuchten, um nicht zu frieren. Unser Glück war das neben dem Eisstadion liegende Wasserwerk der Stadt Bad Nauheim. Dort war zu dieser Zeit als Werkmeister Willi Seger beschäftigt zu dem wir alle ein sehr gutes kollegiales Verhältnis hatten. Und auf diesem Gelände lag auch für diesen Betrieb ein schöner Kokshaufen, an dem wir uns immer mal wieder bedienten, um wenigsten einigermaßen in den Räumen arbeiten zu können. Von diesen Öfen ging jeweils ein Ofenrohr durch den ganzen Raum bis hinaus ins Freie auf der Teichseite, weil ein Kamin in dem ganzen Gebäude nicht vorhanden war. Diese Öfen waren auch die Ursache für zwei Brände in den Jahren 1951 und 1952. Unmögliches geschieht sogleich... Ein heute noch in tiefer Erinnerung sitzendes markantes Erlebnis war der große Brand im November 1952. In der Nacht von Samstag auf Sonntag brannte der Mittelteil des Eisstadions ab, in dem die ganze Innen- und Flächenbeleuchtung sowie die Ton- und die Uhrenanlage installiert waren. Am frühen Sonntagmorgen gegen 6 Uhr wurde ich von unserem damaligen technischen Leiter Herrn Grönke und unserem Elektromeister Wolf aus dem Bett geholt mit dem Auftrag, sofort alles, was an Technik verbrannt war, provisorisch im Eilmarsch wieder aufzubauen, weil am Sonntagnachmittag um 16 Uhr ein Eishockeyländerspiel Deutschland - Schweiz ausgetragen werden sollte. Was am Morgen beim Anblick der Ruine des Stadiongebäudes keiner von uns Elektrikern für möglich gehalten hatte, wurde dank eines ungeheuren Einsatzes Realität: Das Länderspiel wurde gegen 16.30 Uhr angepfiffen. Doch noch einmal zurück ins Jahr 1949. Die gesamte Elektroinstallation präsentierte sich uns als ein großes Provisorium; an ihr konnte man die nur 100 Tage währende Bauzeit am deutlichsten erkennen. Im Schaltraum waren alle Schaltelemente ganz primitiv auf Holzbretter installiert; Leitungen in Gummikabeln führten zu den Schaltstellen und auch in die jeweiligen Räume. Das Stadion hatte zwei verschiedene Stromzuleitungen. Mit der ersten (sie kam aus einer 20000-Volt-Hochspannungszuleitung von der OVAG-Station an der Rosenau) wurden zwei Hochspannungstransformatoren mit jeweils 400 kVA betrieben. Dies entsprach der hohen Anlaßkraft der zwei Eismaschinen von jeweils 120 Kilowatt. Heute dürften Motoren dieser Größenordnung im Direktanlauf nicht mehr eingeschaltet werden, um zu hohe Schwankungen im gesamten Stromverteilernetz zu vermeiden.
Neue Elektroanlage, neue Heizung
Die zweite Stromzuführung für das Eisstadion war ein provisorisches Kabel vom städtischen Wasserwerk, das noch mit 220/440 Volt Gleichstrom betrieben wurde. Auf dieses Kabel konnte man mit einem Hebel die gesamte Innenbeleuchtung des Stadiongebäudes schalten. An kalten Tagen, wenn man keine Maschinen für die Eisbereitung brauchte, konnte man so die großen Transformatoren ausgeschaltet lassen, um den hohen Anteil an Blindstrom zu reduzieren. Gleichzeitig hatte man mit dieser Gleichstromzuleitung eine Notbeleuchtung geschaffen. Nach der Übernahme durch das Staatsbad wurde in den 50er Jahren eine neue Hochspannungsstation am hinteren Ende des Gebäudes gebaut und ein 5000-Volt-Kabel vom Versorgungsnetz des Staatsbades dorthin verlegt. Mit zwei neuen Transformatoren mit 160 kVA und einem kleineren mit nur 45 kVA konnte man von da ab die gesamte Anlage (außer den zwei großen Kompressoren, die an der 20-kV-Anlage blieben) sehr viel wirtschaftlicher betreiben. Nach und nach wurde die gesamte Elektroanlage des Eisstadions nach bestehenden VDE-Vorschriften umgebaut und erweitert. Die Elektroarbeiten führte die Elektroabteilung des Staatsbades, der ich angehörte, in eigener Regie durch. Ebenfalls in den 50er Jahren ließ das Staatsbad eine neue Heizungsanlage für das gesamte Gebäude einbauen.
Von Oktober 1949 bis zur Übergabe des Stadions an die Stadt Bad Nauheim im Jahr 1969 hatte ich bei allen Veranstaltungen für den technischen Ablauf zu sorgen. In dieser Zeit lernte ich durch diese Beschäftigung bei Eishockeyspielen, Kunstlautveranstaltungen oder auch immer wieder Eisrevuen aus Wien, München oder Garmisch-Partenkirchen viele Weltstars des Eissports, ob Eishockey oder Eiskunstlauf persönlich kennen, weil viele von ihnen damals ihr Trainingslager hierher verlegten. Dazu zählten mehrfache Olympiasieger und Weltmeister, wie Maxi Herber und Ernst Bayer, Ria Baran und Paul Falk, Erich Zeller, Horst Faber, Anneliese Giermeier, Elli Staerck, Ina Bauer, Irene Braun sowie die unvergessenen »Nauheimer Eigengewächse« Werner Kronemann, Klaus Esch, Uschi Schmid, Peter Krick, Petra Damm, Christa von Kuczkowski, Gabriele Weidert, Resi Heppe und die Geschwister Seibert. Gudrun Olbricht kam damals als Ostberliner Meisterin nach Bad Nauheim und heiratete später den bekannten Tanzlehrer Helmut Wiedemann, mit dem sie viele Jahre lang die Tanzschule Wiedemann betrieb. Weil damals in Frankfurt noch keine Kunsteisbahn bestand, starteten Marika Kilius und Franz Ningel aus Frankfurt als Paarläufer für den VfL Bad Nauheim. Sie sind hier als Eiskunstläufer sozusagen groß geworden und waren fast jeden Tag in Bad Nauheim, ständig betreut von der Mutter von Marika Kilius.
Als im Lauf der Jahre die Natur ihr ungleiches Spiel mit den beiden trieb und die Marika dem Franz über den Kopf wachsen ließ, mußten sich beide trotz ihrer großen Erfolge mit vielen nationalen und internationalen Meistertiteln und mehrfacher Olympiateilnahme für eine gravierende Änderung ihrer Eiskunstlaufkarriere entscheiden. Es gab zwei Alternativen: als Einzelläufer weiterzumachen oder sich neue Partner zu suchen. Das Letztere gelang zum Glück für beide. Der etwas kleiner gebliebene Franz Ningel fand in der Frankfurter Einzelläuferin Margret Gäbe eine neue Partnerin, Marika Kilius tat sich zusammen mit dem Garmischer Einzelläufer Hans-Jürgen Bäumler, den wir Nauheimer schon von verschiedenen Kunstlaufveranstaltungen kannten. Ich kann mich noch gut an seine komikhaften Auftritte als Eisclown oder Akrobat erinnern.
Beide Paare waren von nun an Konkurrenten bei vielen deutschen und auch internationalen Meisterschaften sowie auch bei Olympischen Spielen, mit großem und auch manchmal mit wechselndem Erfolg. Bei vielen Eishockeyspielen und auch bei Schauläufen sahen wir sie in Bad Nauheim abwechselnd immer mal wieder auf heimischem Eis. Bei diesen Veranstaltungen waren oft bis zu 10000 Zuschauer im Eisstadion. Ein besonderer Leckerbissen war im Februar 1955 das Spiel einer deutschen Auswahlmannschaft gegen »Dynamo Moskau«. Dieses Spiel kam zustande durch unseren unvergessenen Hans Unger, der vorher als Schiedsrichter an internationalen Meisterschaften in Moskau teilgenommen hatte. Es war der erste Auftritt einer russischen Sportmannschaft in Deutschland überhaupt. Ich hatte die Ehre, zum ersten Mal in Westdeutschland die Nationalhymne der UdSSR zu spielen, die mir ein sowjetischer Oberst übergab, der die Mannschaft betreute.
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